Bündnis-Fachtag am 18. Februar in Berlin – Rückblick voraus der InitiatorInnen

01_eroeffnungMenschenwürdiges Existenzminimum die Dritte: nach Fertigstellung der Bündnisplattform und der Broschüre, nach der Publikation unserer Positionen auf einer Pressekonferenz nun ein erstes Treffen mit vielen Betroffenen und Engagierten – was bleibt? Und wie geht es weiter?

Zuerst gilt unser Dank allen, die den Fachtag ermöglicht haben, besonders den Verantwortlichen und MitarbeiterInnen der Diakonie, die uns in ihren Räumen so freundlich und hilfreich empfangen haben, ebenso den KollegInnen der Hans-Böckler-Stiftung, die bei der Vorbereitung auch noch geduldig auf unsere Wünsche eingegangen sind, selbst wenn diese längst aus der Zeit waren.

Wir danken allen ReferentInnen und ModeratorInnen, die das Projekt so bereitwillig unterstützt haben und dafür weder lange Anfahrtswege noch umfangreiche Vorbesprechungen gescheut haben!

Alle Beiträge zur Tagung wollen wir ausführlich auf der Webseite dokumentieren, können dafür aber heute noch keinen Termin nennen.

Hier daher statt dessen zunächst ein Resumée, ein Zwischenruf mittendrin, ein Versuch, auch ein erhellendes Licht auf den Gegenstand der Debatte zu werfen, vielleicht ungewöhnliche Perspektiven andeuten, den Horizont öffnen. Mal sehen…

Wir haben beim Fachtag etwas über den täglichen Mangel erfahren, unter dem Millionen Menschen im reichen Deutschland leiden müssen. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass es mit unserer Demokratie nicht so weit her sein kann, wenn sie nicht universell ist, wenn sie nicht für alle Menschen gleichermaßen gilt. Wir haben gehört, wie erpressbar die Menschen in ihren Arbeitsverhältnissen geworden sind durch Hartz IV und Billiglöhne. Wir haben vielleicht verwundert registriert, dass niedrige Einkommen der Anfang einer Kette sind, die sich über Discounter, Transport-, Agrar- und Lebensmittelindustrie zerstörerisch auswirkt nicht nur auf die Arbeits- und Lebens- und Umweltbedingungen bei uns, sondern auf der ganzen Welt. Und wir mussten uns aufklären lassen darüber, dass die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich nicht nur eine moderne Erscheinung der Klassenfrage ist, sondern sich auch in geographischen und regionalen Dimensionen niederschlägt.

Wer dann noch die Politikerbefragung verfolgt hat, wird uns Recht geben in unserer Einschätzung, dass diese Fachtagung des Bündnisses mit ihren Erkenntnissen und Diskussionen allenfalls der Beginn von Aufklärung ist, einer von vielen notwendigen Schritten auf dem Weg aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“. Denn eigentlich sind wir noch gar nicht soweit, um dazwischen zu rufen; eigentlich befinden wir uns erst am Anfang. Und hoffentlich ist dieser Anfang ein gemeinsamer Aufbruch. Aufbrechen müssen wir nämlich in mehrerlei Hinsicht. Wir müssen innere und äußere Grenzen aufbrechen.

Wo hier seit mittlerweile zwei Jahren Erwerbslose, Gewerkschafter, Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Flüchtlinge, Bauern und Umweltschützer zusammenarbeiten, haben wir bereits Grenzen aufgebrochen, in unseren Köpfen und in unseren neu erarbeiteten Positionen. Aber gesellschaftlich werden wir Grenzen nur aufbrechen können in gemeinsamen und „sinnlich manifesten“ Aktionen – wie z. B. bei der Blockade eines Schlachthofes in Niedersachsen oder den „Wir haben es satt!“-Demonstrationen zur Grünen Woche in Berlin.

Wir müssen die Grenzen in unseren Köpfen aufbrechen, die z. B. in Gestalt von unfähigen Hartz-IV-Berechtigten, faulen Griechen oder kriminellen Sinti und Roma sich dort festgefressen haben. Wir müssen reale Grenzen aufbrechen, die uns vor Menschen abschotten und sie töten, weil sie vor den zerstörerischen Auswirkungen unserer Reichtumsproduktion in ihren Ländern fliehen.

Wir rufen also als Abschluss dieser Veranstaltung dazwischen, dass wir zusammen das Kunststück fertig bringen müssen, morgen gemeinsam gegen die Zwangsräumung einer Familie zu protestieren, übermorgen die Stromsperre in einem Alleinerziehendenhaushalt zu verhindern, in den nächsten Wochen Lohndumping bei Discountern und Tierquälerei in der Agrarindustrie anzuprangern, in den nächsten Monaten einen menschenwürdigen Regelsatz für Hartz-IV-Berechtigte und einen ausreichenden gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen, und in den nächsten Jahren in allen Städten Europas gemeinsam gegen Erwerbslosigkeit, Armut, Ausgrenzung und Chauvinismus zu demonstrieren.

Jetzt müsste nur noch jemand dazwischen rufen: „Und was ist mit dem Rest der Welt?“

In diesem Sinne wünschten wir allen einen guten Nachhauseweg und dem Fortgang des Bündnisses Kreativität und Erfolg, den es umso mehr erringen kann, wenn sich auch Sie sich mit Ihrer Kraft und Ihren Ideen beteiligen.

Wir sehen uns!

Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum, Berlin, 18. Februar 2013

 

Lesen Sie auch den Bericht von T. Gräser (Volkssolidarität)
Menschenwürde statt Profitmaximierung 21.02.2013
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes gilt für alle. Daran erinnerte Prof. Dr. Birgit Mahnkopf am 18. Februar 2013 in Berlin. Doch die Bundesrepublik sei „sehr weit entfernt“ davon, dass alle Menschen selbstbestimmt und menschenwürdig leben können, kritisierte die Sozialwissenschaftlerin. Sie sprach auf der ersten Fachtagung des „Bündnisses für ein menschenwürdiges Existenzminimum“, einem Zusammenschluss von Erwerbsloseninitiativen, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften. Die Volkssolidarität wirkt darin aktiv mit.

“Ein menschenwürdiges Leben kommt nicht von allein”, so das Motto der Veranstaltung im Gebäude der Diakonie in Berlin. Das Bündnis hatte zuvor ein Positionspapier veröffentlicht: “Ein menschenwürdiges Leben für alle – das Existenzminimum muss dringend angehoben werden!”

in der Presse

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